Die goldene Mitte

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Humboldt Forum im Berliner Schloss, Foyerwand 1. OG zwischen Berlin-Ausstellung und Humboldt Akademie
Nicht-offener Kunst-am-Bau-Wettbewerb mit vorgeschaltetem offenem Bewerberverfahren, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 

2. Phase (ohne Realisierung)

(c) Willem-Jan Beeren, Paul Jonas Petry, 2018

Wenn man sich durch die Treppenhalle dem Foyer zwischen der Berlin-Ausstellung und der Humboldt-Akademie nähert, wird der Blick bereits durch die Türöffnung von einer warm golden glänzenden Wand am Ende des Raumes angezogen. Darauf zeichnen sich Halbkugeln ab, die sich aus der Wand wölben und dieser eine reliefartige Struktur verleihen. Was zunächst wie eine stilisierte Kletterwand oder ein rein ornamentaler Wandschmuck erscheint, entpuppt sich bei weiterer Annäherung als eine Ansammlung von vergoldeten Köpfen, die zur Hälfte aus der Fläche ragen. Die aufmerksame Betrachter*in entdeckt in ihnen nicht nur die Gesichter der beiden Humboldt-Brüder, sondern nimmt auch wahr, dass sie in verschiedene Richtungen blicken. Wer noch genauer hinschaut, stellt schließlich fest, dass es keine Stelle im Raum gibt, auf die nicht einer der Köpfe seine Blicke zu richten scheint. Gleich wo man sich also im Foyer befindet, wenn man diese Wand betrachtet – irgendwann erfasst der eigene Blick einen Kopf, der sich der Betrachter*in zuwendet. Man findet sich sehenden Auges auf sich selbst zurückgeworfen, wozu auch die reflektierende Wirkung des Goldglanzes ihren Beitrag leistet. Die versunkene Haltung, die daraus resultieren kann, mag eine Weile halten – bis sich wie von selbst der nächste Perspektivwechsel einstellt.

Die Köpfchen (ca. 9-10cm hoch) wurden aus „AcrylicOne“ (A1) gegossen, der ökologischen Alternative zu Epoxidharz. Nach Fertigstellung der Wand wurden sie an die Vorsatzschale gedübelt und verklebt. Anschliessend wurde die gesamte Wandfläche „vergoldet“; es handelt sich bei dieser Veredelungstechnik um das blättchenweise Aufbringen von Schlagmetall, einer Messinglegierung, die der sinnlichen Tiefe des Goldes sehr nahe kommt. Abschliessend wurde die Oberfläche mit zwei Schichten Abschlusslack versiegelt und gesichert. 

Gold ist ein Phänomen, dem in den verschiedensten Lebens- und Wissensbereichen außerordentliche Bedeutung zukommt. Sein sinnlicher Reiz ist offensichtlich; sein ökonomischer Wert ungebrochen; unter den Schmuckstücken nimmt der goldene Ring als verbindendes Symbol eine herausragende Stellung ein; Gewinner*innen im sportlichen Wettkampf erhalten selbstverständlich Goldmedaillen; Handwerk hat goldenen Boden, Morgenstund Gold im Mund und überhaupt ist im metaphorischen Sinne all das Gold wert, was in einer Situation gut zu gebrauchen ist. Selbst unter dem nüchternen Blick naturwissenschaftlicher Forschung wird das Gold in der Reihe der chemischen Elemente durch die Kennzeichnung als Edelmetall hervorgehoben. Es eignet sich also hervorragend als verbindendes und wertschätzendes Symbol natur- und kulturwissenschaftlicher Zugänge zur Wirklichkeit, die in den beiden Humboldt-Brüdern glänzende Repräsentanten haben. (Nebenbemerkung: Noch bevor Alexander bei der Erforschung Südamerikas mit den dortigen Bodenschätzen in Berührung kam, machte er sich in preußischen Diensten um den deutschen Goldbergbau verdient. Die goldene Humboldt-Medaille mit dem Konterfei der beiden Brüder stellte eine wichtige Auszeichnung im DDR-Hochschulwesen dar und noch heute prangt unweit des Forums der Name der Humboldt-Universität zu Berlin in goldenen Buchstaben auf deren Hauptgebäude.) 

Während Alexanders Forschungsreisen und Studien den Wissenshorizont der Menschheit weltwärts erweiterten, hatte Wilhelms Bildungsverständnis vor allem den Anspruch, dem einzelnen Menschen einen freien geistigen Kosmos zu erschließen. Die beiden Humboldts verkörpern seither wie wenige das Ideal, dass Wissensgewinn und Persönlichkeitsentwicklung zusammengehören. Beide waren Forscher, die sich bei all ihrer sammelnden, messenden, ordnenden und analysierenden Tätigkeit eine Freiheit bewahrten, die heute zunehmend gefährdet erscheint. In der Installation ist dieses Spiel von Ordnung und Freiheit dadurch angedeutet, dass die Köpfe auf einem Raster angeordnet sind, das an das Gitternetz von Längen- und Breitengraden erinnert – und damit an die Internationalität der beiden Brüder –, in ihrer Positionierung aber keinem erkennbaren System folgen. Das gilt auch für die Ausrichtungen der Köpfe, deren Multidimensionalität bereits erörtert wurde. Hier kommt es auf die verschiedenen Blickwinkel und Perspektiven an, die dadurch eröffnet werden. Man denke nur an Alexanders „Ansichten der Natur“, die für ihn nicht abschließbar erschienen, und Wilhelms Thesen von der sprachlichen Perspektivität unserer Menschen- und Weltbilder. Vor diesem Hintergrund erscheint die eingangs beschriebene Entfaltung und Ausdifferenzierung der künstlerischen Installation bei der schrittweisen Annäherung wie ein paradigmatischer Bildungsweg im Humboldt’schen Sinne.

(c) Willem-Jan Beeren, Paul Jonas Petry, 2018

Eine solche Inszenierung steht allerdings in der Gefahr, das Klischee der aufgeklärten Kulturnation zu bedienen und ein abgehobenes bildungsbürgerliches Selbstverständnis zu verklären, das der gesellschaftlichen Realität nicht entspricht. Die Installation begegnet ihr mit feinen ironischen Brechungen. Dass die Werte so gülden nicht sind, wie sie erscheinen, kann man daran erkennen, dass es gar kein Gold ist, was da glänzt, sondern Schlagmetall (Messing).Vor diesem Hintergrund wird die ohnehin schon überspitzte Anspielung auf den Goldgrund, der die beiden ikonischen Wissenschaftler als Hauspatrone umgibt, noch fragwürdiger. Auch finden sich Anklänge an die sogenannten ,Gaffköpfe‘, welche die Fassaden von vielen historischen Gebäuden zieren und spöttisch auf die Vorübergehenden hinabschauen; im Skulpturenreservoir des Stadtschlosses – etwa in der großen Wappenkartusche – ist diese Tradition zwar zivilisiert, aber noch immer präsent. Zudem lassen sich Assoziationen mit ,Neidköpfen‘ ziehen, zumal sich eines der berühmtesten Exemplare dieser Gattung unweit des Schlossgebäudes in Alt-Berlin befand. Während die Fratzen der Neidköpfe nach volkstümlichem Verständnis Feinde des Hauses von dessen Betreten abhalten sollten, so lassen sich die im Innern des Forums angebrachten Humboldtköpfe umgekehrt als Symbole der Aufklärung betrachten, welche die Besucher*innen zum Gebrauch des eigenen Verstandes einladen möchten, aber unter einer ähnlich stummen Machtlosigkeit leiden wie ihre wüsten Pendants aus vormodernen Zeiten. Kein Grund, es nicht doch zu versuchen! 

Text: Dr. Thomas Schmaus
Entwurf: Willem-Jan Beeren, Paul Jonas Petry
(c) 2018